Wir befinden uns in einem ständigen Wechsel aus Überforderung, Angst, Vertrauen, Misstrauen, Dankbarkeit, Frust, Verständnis, Hoffnung, Resignation, Zusammenhalt und Einsamkeit. Für Körper und Psyche stellt das eine enorme Herausforderung dar.
Nach nun mehr als einem Jahr Pandemie zeigt sich in Studien, dass die psychische Belastung in der Bevölkerung zugenommen hat. Das Virus stellt eine unbekannte Bedrohung dar, deren Ausgang ungewiss ist. Hinzu kommen die Angst vor einer Infektion oder vor wirtschaftlichen Konsequenzen, der Verlust von Angehörigen durch eine Erkrankung und natürlich die Folgen all der getroffenen Maßnahmen, insbesondere die der Kontaktbeschränkungen.
Belastungssymptome machen sich u.a. bemerkbar durch:
- Depressive Verstimmungen
- Ohnmachtsgefühle, Panik und Angst
- Schlafstörungen
- Gefühle der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit
- Alkohol- und Medikamentenkonsum
- Aggressivität und gehäufte Konflikte mit Familie/ PartnerIn
- Kopfschmerzen oder allgemeines Unwohlsein
- Gesteigerter oder verminderter Appetit
Kinder und Jugendliche bleiben nicht verschont
Die sogenannte COPSY-Studie (Corona und Psyche) befragt Kinder, Jugendliche und deren Eltern zu mehreren Zeitpunkten seit der Pandemie nach ihrem psychischen Wohlbefinden. Seit der ersten Befragung im Frühjahr 2020 haben sich die Symptome nochmal deutlich verschlechtert. Kinder und Jugendliche klagen über somatische Beschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Streit mit der Familie, weniger Austausch mit Freunden und Freundinnen, Sorgen und Ängste.
Einige Eltern erwähnen einen verstärkten Zusammenhalt innerhalb der Familie, gleichzeitig kommt es bei ihnen aber vermehrt zu depressiven Symptomatik. Kein Ausgleich im Sportverein oder auf dem Spielplatz, Homeschooling und Homeoffice unter einen Hut bringen, gepaart mit Ängsten, Frust und Ungewissheit – für alle Beteiligten eine Zerreißprobe.
Auswirkungen auf unser Gehirn
Unser Gehirn verarbeitet jede Sekunde unzählige Eindrücke, filtert sie und speichert sie ab. Isolation, weggebrochene Routinen, mangelnde Anregung von außen, aber auch Dauerstress durch all die angstauslösende Nachrichten verändern unsere Gehirnaktivität. Das „Emotionszentrum“, die Amygdala, wird beispielsweise durch die Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Noradrenalin übermäßig viel beansprucht. Die Folge können Überforderung und Hilflosigkeit sein. Das sogenannte Belohnungssystem hingegen wird deutlich weniger aktiviert, da wir kaum in direktem Kontakt mit Anderen stehen. Soziale Kontakte sorgen normalerweise für die Ausschüttung von Dopamin, wodurch wir uns fröhlich und motiviert fühlen.
Durch die aktuelle Situation werden wir mit widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen konfrontiert: Social Distancing und Isolation als wichtiger Baustein in der Bekämpfung der Pandemie einerseits, die daraus resultierende Einsamkeit als Risikofaktor für die Entstehung und Chronifizierung psychischer Erkrankungen andererseits.
An niemandem geht die Pandemie spurlos vorbei und für alle bedeutet diese Krise eine noch nie dagewesene Herausforderung. Viele Betroffene einer psychischen Erkrankung wie Depressionen, Angststörungen und weiteren stressbezogenen Störungen scheinen jedoch aufgrund ihrer Vorgeschichte besonders gefährdet zu sein. Menschen, die unter einer Angststörung leiden, berichten von einer zunehmenden Belastung aufgrund der Angst vor einer Infektion mit dem Virus und aufgrund der getroffenen Maßnahmen.
Für Menschen mit Depressionen sind eine geregelte Tagesstruktur sowie der Aufbau von Aktivitäten und Kontakten normalerweise wichtige Therapiebestandteile, die durch die aktuellen Beschränkungen allerdings nur noch begrenzt realisierbar sind. Betroffene ziehen sich ohnehin oft aus ihrem Umfeld zurück und fühlen sich einsam, was die Gesamtsituation noch herausfordernder macht.
Gemeinsame Krise – individuelles Schicksal
Corona stellt außerdem einen Stressfaktor für die Psyche und somit ein größeres Risiko für Menschen dar, die aufgrund von psychosozialen, wirtschaftlichen oder biologischen Faktoren anfälliger für die Entstehung psychischer Störungen sind. Alleinerziehende, isoliert lebende Menschen, Senior:innen, Arbeitssuchende oder Menschen, deren Existenzen bedroht sind, gehören beispielsweise zu einer Gruppe, die besondere Gefahr läuft, langfristig unter den psychischen Folgen durch die Pandemie zu leiden. Nicht zu vergessen sind natürlich die Menschen, die selbst an Covid-19 erkrankt sind und zudem ggf. unter Long Covid leiden. Neben den körperlichen Einschränkungen können Traumatisierungen und Ängste durch die zurückliegende Behandlung auftreten.
Jede Emotion hat seine Daseinsberechtigung
Die wahrgenommene Bedrohung und psychische Belastung sind etwas sehr Individuelles und hängen von vielen verschiedenen Faktoren ab. Sie dürfen sich überfordert und ängstlich fühlen, auch wenn Sie Ihren Arbeitsplatz nicht verloren haben und Ihre Liebsten gesund sind. Es geht nicht darum, Leid gegeneinander aufzuwiegen. Zeigen Sie Verständnis für andere, aber eben auch für sich selbst und Ihre Emotionen.
Tagesstruktur
Ein geregelter Tagesablauf und Routinen sind für das psychische Wohlbefinden extrem wichtig. Planen Sie beispielsweise feste Arbeits-, Schlaf- und Essenszeiten ein, die Ihrem Tag einen gewissen Rahmen geben, durch den Sie sich wirksam und sicher fühlen. Denken Sie auch ganz bewusst an angenehme Aktivitäten, die einen Ausgleich schaffen und auf die Sie sich freuen können.
Bewegung
Bewegung, am besten auch an der frischen Luft, wirkt sich positiv auf Körper und Psyche aus. Gerade, wenn sich Ihr Arbeitsleben in die eigenen vier Wände verlagert hat, tut ein kleiner Umgebungswechsel besonders gut. Bei einem Workout ins Schwitzen zu kommen, kann zudem das Stresslevel senken und bringt Sie auf andere Gedanken.
Bewusster Medienkonsum
Egal, welchen Fernseh- oder Radiosender man einschaltet oder durch welche Social-Media-Plattform gescrollt wird: überall kursieren negative Nachrichten und sogar Falschnachrichten, die zusätzlich Ängste schüren. Das Bedürfnis, „auf dem neusten Stand“ sein zu wollen, ist in Zeiten der Ungewissheit nicht ungewöhnlich. Dennoch beeinflusst der übermäßige Konsum Sie früher oder später, da Sie sich hilflos und verunsichert fühlen. Nutzen Sie die Zeit lieber für einen lustigen Film, einen Spieleabend oder ein gutes Buch.
Kontakte
Die Nähe zu unseren Mitmenschen ist für unsere psychische Gesundheit essenziell. Gerade weil sie uns durch die Kontaktbeschränkungen größtenteils verwehrt bleibt, ist es umso wichtiger, den Anschluss an die Außenwelt durch Telefonate und Videocalls aufrechtzuerhalten. Teilen Sie Ängste und Sorgen und sprechen Sie über das, was in Ihnen vor sich geht. Bestimmt werden Sie die Erfahrung machen, mit Ihren Gedanken nicht alleine zu sein. Selbstverständlich darf und sollte es auch noch Gesprächsthemen fernab von der Pandemie geben, die Sie ablenken und vielleicht auch zum Schmunzeln bringen.
Sie kennen und spüren Ihre persönlichen Grenzen selbst am besten. Wenn Sie den Eindruck haben, mit Ihrer Innen- und Außenwelt gerade überfordert zu sein, schrecken Sie nicht davor zurück, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt unter anderem Online-Kurse, Telefonseelsorgen, Selbsthilfegruppen oder auch die Möglichkeit einer ambulanten oder stationären Therapie.
Die einschränkenden Maßnahmen sind kein Dauerzustand und Sie haben das Recht, Ihr Leben in vollen Zügen genießen zu können. „Bleiben Sie gesund“ meint eben nicht nur den Schutz vor einer Ansteckung mit dem Virus. Ihre Psyche möchte ebenfalls nicht vernachlässigt werden.