Die Psychotherapie ist eine wissenschaftsbasierte Heilkunst. Sie unterliegt – wie jede Wissenschaft – der Notwendigkeit der kritischen methodischen Selbstreflexion, um Möglichkeiten, aber auch Grenzen des eigenen Vorgehens zu explizieren. Der Vortrag bietet eine kritische Reflexion auf die Funktion von Sprache in der psychologischen Therapie. Sprache meint hier ausschließlich verbale Sprache, nicht etwa die Körpersprache, die Sprache der bildenden Künste oder ein anderes semiotisches System, das als Mittel der Kommunikation benutzt werden kann.
Die Geschichte der Psychoanalyse wie auch der Psychotherapie ist seit ihrem Anfang mit Sigmund Freud geprägt worden von der Literatur(theorie) und Linguistik. Während Freud zum Beispiel eine Analogie zwischen der Genese eines literarischen Textes und eines Tagtraumes konstruierte und die Handlungsstruktur antiker Mythen für die Beschreibung psychischer Phänomene nutzte, haben Jacques Lacan, Hélène Cixous und Julia Kristeva durch die Rezeption der Thesen von Saussure im Rahmen des linguistic turn Sprache und Sprechen selbst als zentrales Material, Strukturelement und Medium jeder Psyche und Psychotherapie theoretisiert.
Im Zentrum der Überlegungen steht die Beobachtung, dass Sprache und Sprechen als Medien der Erkenntnis und Verständigung, aber auch als bewusste und unbewusste Instrumente der Verdeckung und Verschiebung fungieren. Das gilt für individuelle Patient*innen und Therapeut*innen, aber auch für ´Denkkollektive´ wie zum Beispiel Berufsgruppen, deren Forschung und Erkenntnisse durch einen bestimmten sprachlich verfassten ´Denkstil´ (Ludwik Fleck) geprägt sind, und sogar für ganze Kulturen und Nationen mit ihren historisch je spezifischen ´Diskursen´ (Foucault) über normative Konzepte von Gesundheit und Krankheit, Normalität und Wahnsinn, Genderrollen, ´Selbst´- und ´Ich´-Modelle. Der Vortrag wird diese Problemstellung exemplarisch nachzeichnen und am Beispiel einschlägiger literarischer Werke illustrieren.
Da wir nicht ´nicht sprechen´ können (Derrida), stellt sich die Frage: Wie können wir mit der sprachlichen Befangenheit in sprachzentrierten Berufen wie der Psychotherapie, der Literaturwissenschaft und Linguistik angemessen umgehen? Die Antwort ist gleichzeitig die Antwort auf die Titelfrage (Wozu Theorien – und dann noch so viele?): Durch theoretische Selbstreflexion und immer neue Theoriebildung.